Der Zug nach Nirgendwo

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Es gibt eine Gemeinsamkeit, die unsere gegenwärtige politische Lage national und international kennzeichnet. Viel wird in den Medien geschrieben, berichtet, analysiert. Politiker haben in jedem Interview eine Antwort auf jede Frage. 2030, 2040, 2050 sollen wir klimaneutral sein. Wird dann alles besser? Das ist alles noch sehr weit weg. Was passiert in der Zeit dazwischen?

In Wahrheit herrscht eine große Ratlosigkeit in unserem Land. Die Pandemie, die Flut-Katastrophe im Ahrtal, die brennenden Wälder weltweit, der bedrückende Fall Afghanistans, die Hackerangriffe, die Flüchtlingsfrage, die Autokratisierung Polens, die aggressive Destabilisierungsstrategie Putins gegen Europa, die Menschenrechtsverletzungen der expandierenden Großmacht China. Wir fühlen uns all diesen Sorgen hilflos ausgesetzt. Die politische Führung hat auf all diese brennenden Fragen keine wirklichen Antworten. Kein Wunder – spricht man mit Freunden und Bekannten hört man allenthalben: Wen soll ich wählen?

Es ist, als ob wir in einem Zug ohne Lokführer ins Ungewisse fahren. „Es fährt ein Zug nach Nirgendwo“, sang einst Christian Anders, und so fühlt sich die Welt heute an. Wo fange ich an? Woran kann ich diese Ratlosigkeit festmachen?

Die Corona Pandemie wird im Tauziehen zwischen Wissenschaft, Politik und Rechtsexperten zerredet. Immer dabei: Die BILDZeitung, die in einer Art Kriegsberichterstattung die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten unter Dauerfeuer hält, das Werben um Impfungen damit konterkariert und die Zahl der Zweifler wachsen lässt. Die steigenden Neuinfektionen lassen schon wieder Befürchtungen hochkommen, dass der nächste Lockdown trotz aller gegenteiligen Beteuerungen bevorsteht. Und damit wächst die Ratlosigkeit, die von Anfang an diese Pandemie kennzeichnete.

Die Flut im Ahrtal hat eine mindestens ebenso große Welle an Hilfs- und Spendenbereitschaft ausgelöst. Politiker haben sich auf einen Milliardenfonds für den Wiederaufbau geeinigt. Aber nun ist die Frage, wie sieht die Zukunft des Ahrtals aus? Kann man eine neue Flutwelle dieser Art verhindern öder wenigstens ihre Auswirkungen vermeiden? Soll man die zerstörten Häuser an gleicher Stelle aufbauen? Kann es dort jemals wieder so sein, wie es einmal war? Wo ist der Generalplan, der das alles organisiert? Es gibt ihn (noch) nicht, weil Ratlosigkeit vorherrscht. Mit dem Aufräumen ist die Zukunft noch nicht geklärt. Der Klimawandel ist allgegenwärtig. Die Flut im Ahrteil wird nicht die letzte sein. Schmelzende Gletscher, brennende Wälder, gravierende Änderungen des Golfstroms kommen wie ein Horrorszenario daher. Schaffen wir die Kehrtwende? Die Grünen versprechen es, aber Zweifel sind angebracht.

Afghanistan ist so weit weg. Die Taliban regieren wieder. Frauenunterdrückung und Sharia – der Albtraum kehrt zurück. Was haben wir am Hindukusch verteidigt? Wofür sind Soldaten dort gestorben oder verwundet worden? Die Menschen, die dort eine Vorstellung von westlichen Werten entwickelt haben, wollen das Land verlassen, wenn sie nicht schon geflüchtet sind. Die afghanischen Mitarbeiter der deutschen Standorte fürchten das Schlimmste, wenn wir sie nicht nach Deutschland lassen. Aber was hätten wir tun sollen? Als Nato-Mitglied mussten wir nach dem 11.September die Amerikaner unterstützen, um die Basis des Terrors auszuschalten. Der Versuch Afghanistan aufzurüsten, zu demokratisieren und bildungspolitisch zu entwickeln, ist gründlich gescheitert. Und als die Amerikaner sich zurückzogen, mussten auch wir die Soldaten nach Hause holen. Es lässt uns ratlos zurück.


Ich habe gerade die erste Hälfte des Weltbestsellers von Timothy Snyders gelesen „Der Weg in die Unfreiheit“, geschrieben noch in der Trump-Ära 2018. Snyders ist ein renommierter Historiker und Professor an der Yale-University. Das Buch erklärt den Aufstieg totalitärer Regime und die daraus folgende politische Katastrophe. Snyders beschreibt darin mit detaillierter Sachkenntnis, wie Putin Russland auf sich zugeschnitten hat, dabei der Philosophie des faschistischen Philosophie des Iwan Iljin folgend, wonach Russland einen Erlöser braucht, um wieder groß zu werden und alles außerhalb Russlands prinzipiell als Feind der russischen Nation eingestuft wird. Gruselig, zu lesen, dass Putin diesen skurrilen Philosophen offiziell rehabilitiert hat und seine Strategien, wie etwa die Besetzung der Krim, an ihm ausrichtet.

Wir stehen dieser aggressiven Strategie ratlos gegenüber. Die Vollendung der Gaspipeline Nordstream gehört ebenso dazu, wie die massive Beeinflussung westlicher Demokratien durch Fake-News in den sozialen Medien.. Im System Putin gibt es keine Lügen. Fiktion ist wichtiger als Fakten. Opposition wird nicht geduldet. Kaum zu glauben, aber Europa wird ernsthaft als homosexuell bestimmt wahrgenommen, wie sich laut Snyders in offiziellen Statements nachlesen lässt. Selbst in Ungarn gibt es so eine homophone Stimmung. Wir sind fassungslos. Und ratlos. In Polen untergräbt die konservative Regierungspartei Jaroslaw Kaczynskis die Unabhängigkeit der Justiz. Das zentrale Element der europäischen Einheit, die Rechtsstaatlichkeit wird damit erstmals in einem Mitgliedsland in Frage gestellt. Wie geht die EU damit um?

Und ratlos macht uns der wirtschaftliche Expansionsdrang Chinas: Nach den USA ist China unser wichtigstes Exportland mit einem Volumen von 95 Milliarden Euro. Dass China Menschenrechte verletzt, autokratisch regiert wird und sich aufrüstet, als ob ein Krieg kurz bevorsteht, wird politisch toleriert. Ein Land das sich Hongkong entgegen bestehender Verträge endgültig einverleibt hat und Taiwan permanent bedroht. Was soll man auch dagegen machen? Eine Fregatte ins südchinesische Meer schicken? Naja, ob das die Chinesen beeindruckt, wage ich zu bezweifeln. Die deutsche Autoindustrie und der Maschinenbau würden in ein tiefes Loch fallen, wenn man Exporte von Menschenrechten abhängig machte. Aber wie wehren wir uns gegen die offensichtlich auch aus China gesteuerten Hacker-Angriffe, die uns wirklich ins Mark treffen können. Wie machen wir unsere sensiblen Bereiche sicher vor solchen Angriffen, wo immer sie herkommen? Wir wissen es nicht.

Am 26.September sind Bundestagswahlen. Wen interessiert angesichts solcher Dimensionen die Diskussion über Gendersprache, die Erhöhung des Mindestlohns oder die Einführung einer Vermögensteuer? Was wir brauchen, ist eine mit den Nato-Partnern und EU-Mitgliedern abgestimmte globale Strategie zu all diesen Fragestellungen. Eine Guideline für unser Verhalten gegen Aggressoren und in Krisensituationen. Neue Bündnisse, die ihren Namen verdienen. Eine klare Sprache, die sich dem Bösen in der Welt kraftvoll und konsequent entgegenstellt.

Welcher der Kandidaten hat Antworten auf diese Fragen? Den Klimawandel wollen alle bekämpfen, man hört es so oft, dass es einen kaum noch mitreißt. Richtig ist, dass die Wende wohl nur durch Innovationen möglich ist. Aber wir brauchen mehr: eine Rückbesinnung auf Werte, die uns wirklich wichtig sind. Darüber muss sich unsere Wohlstandsgesellschaft klar werden. Daran muss sich Politik orientieren.

Veröffentlicht von Ralf-Dieter Brunowsky

I am a Journalist, publisher and PR-Consultant homepage: www.brunowsky.com Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Ralf-Dieter_Brunowsky Blog: www.brunowsky.de (with bad but readable google-translation in most languages) ABOUT THE FOUNDER: 2002 till today: Publisher and PR Consultant, best connected to Germany´s financial and business media. Building up credibility, Branding, Reputation PR, Crisis communication, Media relations, 1991 to 2001 Editor in Chief of Germany´s leading financial magazine CAPITAL (monthly). 1989 to 1991 managing editor of entrepreneur magazine IMPULSE (monthly). 1980 to 1989 correspondent and managing editor of Germanys WIRTSCHAFTSWOCHE (weekly) 1977 to 1979 political editor of newspaper Berliner Morgenpost 1975-1977 managing director of a local retail organisation in Berlin 1969 to 1975 Technische Universität Berlin (Diplom-Volkswirt) 1968 to 1969 German Navy (Bundesmarine)

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