Was ist denn das für ein Wort? Sebastian Turner hat mich darauf gestoßen in einem Gespräch zu seinem neuen Portal Table Media. Der rastlose frühere Werber und spätere Herausgeber des Berliner Tagesspiegel vermisst bei vielen Medien die Fachkompetenz und kritisiert die daraus resultierender Oberflächlichkeit der Berichterstattung. Die sogenannten Entscheidermedien helfen dadurch nicht mehr, richtige Entscheidungen zu treffen. Sie verlieren die Werbeeinnahmen durch einen Strukturwandel, in dem Algorithmenlogik und Sparprogramme die Domänenkompetenz abschleifen, während immer mehr kleine, spezialisierte Dienste bestens verdienen. Die Domänenkompetenz bedeutet laut Wikipedia „Expertenwissen in einem bestimmten Wissensbereich, ohne dabei an eine bestimmte Aufgabe gebunden zu sein. Während also die Aufgabenkompetenz (task expertise) beispielsweise Wissen darüber vermittelt, wie man elektronische Steuerungen zur Bedienung einer ganz bestimmten Maschine verwendet, geht es bei der Domänenkompetenz (domain expertise) beispielsweise darum, elektronische Steuerungssysteme allgemein zu verstehen.“
In ihrer Not lassen sich die Verlage immer mehr Nebengeschäfte einfallen, ohne ihr journalistisches Personal entsprechend aufzustocken. Journalist:innen sind heutzutage die eierlegenden Wollmichsäue. Sie müssen Printausgaben, Online Portale und Newsletter bestücken, Podcasts aufnehmen, Veranstaltungen moderieren und mehr. Da bleibt nicht viel Zeit für tiefer gehende Recherchen. Und wenn sie sich dann in ihrem Fachgebiet zu Experten entwickelt haben, werden sie vom „Personalhunger“(Turner) der Pressestellen großer Unternehmen auch noch weggekauft.So ist es kein Wunder, dass sich viele Pressestellen intern über mangelnde Fachkompetenz von Medien wundern, während sie gleichzeitig diese Journalist:innen abwerben.
Fachdienste gab es schon immer. Zu den Urgesteinen gehört beispielsweise der 1945 von Robert Platow gegründete Platowbrief, dessen Herausgeber Schirmacher und Chefredakteur Mahlmeister wirklich einen guten Job machen und trotzdem immer um Abonnenten und Sponsoren kämpfen müssen. Mit der Digitalisierung und dadurch wegfallende Papierkosten hat sich nun in den letzten Jahren eine ganze Armada von Newslettern gebildet, darunter einige sehr erfolgreiche mit unterschiedlichen Ausrichtungen.
Auffälligster Anführer ist mittlerweile Gabor Steingart, der mit Hilfe des Springer-Verlags in „Steingarts Morning Briefing“ täglich in Wort und Inhalt geschliffene politisch-wirtschaftliche Kommentare verbreitet, die im Grundsatz immer gegen die herrschende Meinung gerichtet sind, selbst wenn diese richtig ist. 50 Journalist:innen arbeiten in seinem Team für verschiedene Formate, der Umsatz wird auf vier Millionen geschätzt. Ein ganz anderes Genre bedient Finanztip, ein Verbraucherportal, das der frühere Chefredakteur von Finanztest Tenhagen seit 2014 leitet. Zu den erfolgreichen neuen Platzhirschen gehört auch Business Insider, ein hochkarätiges ursprünglich amerikanisches Finanz- und Wirtschaftsportal mit deutschem Ableger, dessen Mehrheit der Springer-Verlag 2015 übernommen hat. Auch das von Dohm und Kirchner gegründete investigative und newsgetriebene Finanzportal Finanz-Szene muss man an dieser Stelle erwähnen.
Allerdings haben viele dieser Portale eines noch nicht begriffen: Dass es nicht auf die Menge der Leser ankommt, sondern auf deren Qualität. Ihnen ist immer noch gemeinsam -Steingart allerdings ausgenommen – , dass sie der klassischen Denke folgen: Werbung braucht Reichweite. Deswegen sind ihre Abonnementgebühren viel zu niedrig. Statt 200 bis 300 Euro im Jahr, sollten 1000 bis 2000 Euro im Jahr das Ziel sein. Das kann man allerdings nur dann erreichen, wenn die Domänenkompetenz stimmt, so dass Entscheider Analysen mit echtem Tiefgang erhalten, um besser entscheiden zu können. Hier ist Sebastian Turner, der den Berliner Tagesspiegel zur wichtigsten politischen Tageszeitung in Berlin gemacht hat, mit seiner Table Media Gruppe mal wieder ein Vorreiter: Allein für seinen China-Newsletter arbeiten 13 Redakteure, alle mit China-Erfahrung.