In der Welt des Internets haben Marketing-Experten die Macht übernommen. Journalisten sind aus ihrer Sicht nur noch Lieferanten von quantifizierbarem Content. Content ist zwar nur ein anderes Wort für Inhalt, aber diese Inhalte sind für sie eher unwichtig. Die Zahl der Zugriffe ist es, die zählt. Leads generieren, crossmediale Reichweite erzielen, Impressions maximieren, Follower ausbauen… und so weiter. Der Zwang zur Digitalisierung treibt immer mehr Blüten. Um Reichweiten zu generieren, werden Inhalte mit Stichworten so optimiert, dass Sie bei der Google-Suche nach vorne rücken.
Wenn Bertelsmann 1.500 Journalist:innen unter einem Dach beschäftigt und mit crossmedialer, hoher Reichweite wirbt, um Content zu produzieren, der auf Werbekunden „individuell“ zugeschnitten ist, riecht das nach einer seelenlosen Content-Fabrik, die die Grenze zwischen Werbung und Journalismus überschritten hat. Zum Glück gibt es Formate, die mit investigativen Stories (wie Business Insider) oder messerscharfen und gut formulierten Meinungen (wie Steingarts Pioneer-Projekt) dagegenhalten. Auch Medien wie Handelsblatt, FAZ, Süddeutsche und Welt erfreuen uns noch mit Journalismus alter Schule. Aber auch bei diesen Medien wächst die Neigung, Zugriffszahlen wichtiger zu nehmen als relevante Themen.
Im Print-Journalismus – als es diesen noch als eigene Gattung gab – wusste man nie, wie viele Menschen den eigenen Beitrag gelesen haben. Das ermöglichte auch Geschichten für eine Minderheit von Lesern. Das Feuilleton etwa hatte eine starke Stellung, aber eher wenige Leser.
Der Einzelverkauf signalisierte Magazin-Machern zwar, ob die Titelgeschichte gut gewählt war. Aber die Resonanz der einzelnen Geschichten blieb im Dunkeln, es sei denn, Enthüllungen führten über vorab an Agenturen wie dpa gegebene Meldungen zu großer Medienresonanz: Das Ranking „meistzitiert“ von Roland Schatz und seinem „Medien-Tenor“ nahmen die Redaktionen deshalb sehr wichtig – übrigens bis heute. Der Unterschied zu damals ist: Dass solche Vorabmeldungen heute vor Veröffentlichung des eigenen Textes im Internet verbreitet werden. Und das ist eigentlich skurril: Wozu muss man dann noch das Original lesen?
Allerdings gab es früher auch schon Ansätze, das Interesse der Leser zu erfassen. Bei Capital ließen wir zu meiner Zeit jedes Heft per Leserumfrage analysieren. Die Frage lautete: „Wie viele Leser haben diese oder jene Geschichte ganz oder teilweise gelesen?“ 35 Prozent „ganz gelesen“ war so ein Schwellenwert, der tunlichst übertroffen werden sollte. Die Kolumnen von Johannes Gross, Andre Kostolany und mir erreichten immerhin 65 Prozent, aber eben auch nicht mehr.
Die Frage ist also, für wen und warum Journalist:innen eigentlich schreiben. Eine „gute Geschichte“ fragt nicht, ob hohe Zugriffszahlen zu erwarten sind, sondern ob der Inhalt wichtig, oder je nach redaktioneller Ausrichtung aktuell, informativ oder wenigstens unterhaltsam ist. Den vielen Facetten des Journalismus muss man mit Toleranz begegnen. Die permanenten Klatsch-Geschichten über A-, B- und C-Prominenz sind nichts für Intellektuelle und die Autorität einer FAZ-Kolumne ist zwar fern vom Leservolk, aber für Entscheider unentbehrlich. Sportjournalist:innen, Reisejournalist:innen, Motorjournalist:innen – das Spektrum ist groß. Es kommt letztlich auf den ganz persönlichen Charakter des einzelnen Schreibers an, ob er sich zum Content-Lieferanten degradieren lässt, oder ob er/sie Journalist:in bleiben will.
Brunos Sicht – ein Treffer. Da ich selbst ein Grenzgänger zwischen Content, Marketing und Journalismus bin, kann ich diesen Worten hier einfach nur zustimmen.
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